Die sieben Wilden und das letzte Frühlingsfest
Eine Miao-Legende
von Shen Congwen
Es war der Tag des Frühlingsfests. Die Männer des Dorfs Beixi hatten sich mit ihrem selbst gebrannten Schnaps voll laufen lassen. In der Stadt, so hieß es, sei es jetzt verboten, sich derart hemmungslos zu besaufen.
Wie früher müßten die Felder bebaut, Brennholz geschlagen und Gemüse gepflanzt werden. Der Fortschritt würde allein darin bestehen, daß man sie zwingen würde, Steuern und Abgaben zu zahlen und bei allem kleinliche und schwer zu merkende Vorschriften zu beachten. Bräche ein Bürgerkrieg aus, würden die Männer zum Kriegsdienst eingezogen. Das sind die Vorteile, die die Existenz einer Regierung dem einfachen Volk bringt. Wer legte Wert auf solche Vorteile? Die Clansältesten, die Dorfgendarmen, die Makler, der Fleischer und der Kaufmann, die ihre Waren verkaufen? Wird ihnen eine Regierung ihr Glück bringen? Wird die Regierung denen, die den Acker bestellen, die fischen, die Hexerei betreiben, die Arzneien oder Stoffe verkaufen, zu einem sicheren Leben ohne Sorgen verhelfen?
Was die menschen vor allem interessierte, war, ob ihr Vieh noch von Seuchen befallen würde, wenn Beamte in ihre Gegend kämen. Wenn die Tiere nach wie vor Seuchen zum Opfer fielen, würde das beweisen, dass die Anwesenheit von Beamten überflüssig wäre. Jetzt konnten sie noch selbst gebrannten Schnaps trinken und beim Dorffest die überlieferten Sitten und Bräuche pflegen. Noch konnten die Burschen ihre Mädchen treffen, um zu singen und sich zu amüsieren. Bei Festen versammelten sich noch die Alten, um von ihren ruhmreichen Taten zu erzählen und Kenntnisse über Ackerbau und Fischfang weiterzugeben. Die Männer wurden noch nicht zum Kriegsdienst eingezogen, noch keine der Frauen arbeitete als Prostituierte, und die Alten hatten noch ihren Platz. Was würde die Zukunft bringen? Das Vergangene kann man nicht zurückholen und gegen das Kommende kann man sich nicht wehren, das ist der Lauf der Dinge! “Ihr, die ihr besoffen seid, schlaft, und ihr, die ihr noch nicht restlos betrunken seid, kippt den Schnaps aus dem Flaschenkürbis hinunter!” Diese Verse hatten ihren einstigen Sinn verloren, sie waren, wenn man sie nun sang, zu einem trostlosen Klagelied geworden.
Zu viele hatten sich heute voll laufen lassen. Nur einen Ort gab es, wo sich die Männer nicht betrunken hatten. Sie hatten keine Flaschenkürbisse mit Schnaps vor sich, sondern nur ein rot aufloderndes Feuer. Es waren ihrer sieben, sechs jüngere und einer von etwa 45 Jahren. In der Mitte ihres großen Hauses brannte ein Haufen Wurzelholz. Die sieben saßen um das knisternde Feuer, während der ältere Mann mit einem eisernen Feuerhaken die am Rand liegenden und noch nicht ganz verbrannten Holzstücke in die Flammen stieß.
Im Raum brannten keine Laternen. Der lodernde Feuerschein erhellte die sieben einfachen, unverdorbenen Gesichter und warf ihre bewegten Schatten in alle Richtungen.
Plötzlich packte der Ältere, der im Feuer gestochert hatte, den eisernen Haken, stieß ihn kräftig in den Boden und sprach:
“Es ist vorbei, dieses Frühlingsfest wird das letzte sein. Nur trinken, sich besaufen, wie viele mögen so denken! Lieber saufen sie sich zu Tode als an morgen zu denken. Sie wollen nicht sehen, wie die Uniformierten ins Dorf marschieren. Ihnen ist klar, dass die Männer der Sippe verderben und die Frauen verkommen werden! Sie verstehen das noch viel besser als wir. Wenn dann das neue System an die Stelle der alten Sitten getreten ist, werden ihr Status und ihr Besitz ins Wanken geraten ... Aber diese Kerle trinken und trinken ...”